DAS BUCH HYLAS
von Peter Caws

Erste Meditation

Hylas sagte:
Die große Zeit vergeht, die große Welt bleibt.
Ihre ist eine kleine Zeit und eine kleine Welt.
Die kleine Welt kann geordnet werden, die kleine Zeit kontrolliert.
Kontrollieren Sie die Zeit zuerst durch regelmäßiges Atmen;
zweitens durch Meditation über das Äußere;
drittens durch Meditation über das Innere;
viertens durch jüngste Erinnerung und nahe Erwartung;
fünftens durch ferne Erinnerung und entlegene Erwartung;
sechstens durch eine Rückkehr in die Gegenwart;
siebtens durch Festhalten.
Ordnen Sie die Welt zuerst durch ruhiges Sitzen.
Zweitens, indem Sie stehen und sich umdrehen;
drittens durch Räumen und Reinigen eines nahen Raums;
viertens, indem Sie alles, was zu tun ist, in der Mitte sammeln;
fünftens durch das Bewegen jeder Sache nach rechts oder links;
sechstens durch das Fertigmachen einer Sache in der Mitte;
siebtens durch Weitermachen.

Zweite Meditation

Hylas sagte:
Die große Welt hat keinen Wert, die große Zeit hat keine Bedeutung;
Sie Sind und Werden an und für Sich.
Die kleine Welt hat den Wert, den Sie in ihr finden,
Die kleine Zeit hat die Bedeutung, die Sie ihr geben.
Die kleine Welt ist Ihr Anteil an der großen Welt,
die kleine Zeit Ihr Anteil an der großen Zeit.
Die große Welt und die große Zeit nennt man Universum;
Die kleine Welt und die kleine Zeit nennt man Leben.
Zum Leben gehört der Sinn, zum Universum das Sein.
Ihr Leben ist Ihr Anteil am Universum;
der Sinn in Ihrem Leben Ihr Anteil am Sein.
Ihr Leben ist Universum entsprungen und wird dorthin zurückkehren;
machen Sie aus ihm, was Sie können, machen Sie in ihm, was Sie müssen.
Handeln Sie aus Notwendigkeit oder aus wahrem Verlangen –
was aus Müßiggang gemacht ist, kann Schaden anrichten.
Ihr Leben und sein Sinn werden gemeinsam enden.
Hinterlassen Sie keinen Schaden, den andere erben.

Dritte Meditation

Hylas sagte:
Das Universum ist Eins und seine große Welt Eins.
Es gibt viele kleine Welten, eine für jedes Leben.
Zwischen der großen Welt und den kleinen Welten liegen Mittelwelten.
Mittelwelten sind die Welten von Männern und Frauen:
Sie können viele Leben überdauern,
sie können vielen Leben Sinn geben.
Ihre Mittelwelt wurde nicht von Ihnen gewählt,
Sie wurden in sie hineingeboren, Sie sollten sie erlernen.
Keine Mittelwelt ist Eins,
obwohl den Unaufgeklärten jede Eins zu sein scheint.
Das ist die Wurzel des Krieges.
Der Unaufgeklärte gehört nur einer Mittelwelt an,
der Erleuchtete gehört zu vielen.

Vierte Meditation

Hylas sagte:
Handeln Sie aus Notwendigkeit oder aus wahrem Verlangen –
was aus Müßiggang gemacht wird, kann Schaden bringen.
Lernen Sie, Ihr eigenes Verlangen zu erkennen;
ihm nachzugeben, es zu pflegen – das ist nicht Müßiggang,
das macht Sie zu dem, was Sie sind.
Aber lernen Sie auch, Notwendigkeit zu erkennen:
was Universum Ihnen abverlangt, was andere brauchen.
Notwendigkeit hält das Begehren im Zaum;
auch sie kann man begehren. Lernen Sie dies gut:
Das Nötige zu begehren macht uns frei.
Bedenken Sie Ihre Wünsche und der anderen Bedürfnisse.
Lassen Sie sich von den Sternen leiten: Denken Sie daran, wie sie Rücksicht und Verlangen bieten, die Sehnsucht nach dem Unendlichen
und die Ruhe der Ordnung. Bleiben Sie in einer dunklen Nacht eine ganze Zeitlang unter ihnen stehen, fern von den Lichtern der Stadt;
denken Sie nach, seien Sie friedlich.

Fünfte Meditation

Hylas sagte:
Die Nacht ist eine Vorbereitung auf den Tag.
Die Nacht ist friedlich, wenn Sie sie es sein lassen,
Der Tag ist aufreibend, wenn Sie ihn es sein lassen.
Tragen Sie die Friedlichkeit der Nacht in den Tag:
Wo ist der Stress, den ich erwartet und befürchtet hab?
Von der Nacht in den Tag zu kommen, heißt Erwachen,
das sagt mir, dass ich hier bin, aber nicht wer ich bin oder wo hier ist,
das Erinnern folgt, schnell wie im Nu oder langsam wie im Nebel.
Das erinnert mich daran, wer und wo ich bin,
daran, was mich am Tag erwartet.
Dann kommen Erheben und Entschlossenheit nacheinander.
Fragen Sie nicht: “Was muss ich heute tun?”
Fragen Sie: “Wie kann ich heute ich selbst sein, für mich selbst und für andere?”

Sechste Meditation

Hylas sagte:
Entschlossenheit ist die Kraft des Tages, lenken Sie sie weise.
Üben Sie das Überlappen:
Wenn Sie die erste Aufgabe begonnen haben,
wissen Sie schon, welche die zweite sein wird.
Wenn Sie zur zweiten kommen,
kennen Sie die nächste und so weiter.
Wissen Sie auch, dass nicht alles eine Aufgabe sein muss.
Es gibt Ruhe,
es gibt Momente der Schönheit und Meditation,
es gibt Gemeinschaft, es gibt Liebe.
Und bei allem fortwährende Achtsamkeit.

Siebte Meditation

Hylas sagte:
Moment folgt auf Moment: auf Reisen, beim Warten, im Aushalten.
Gründen Sie auf einen Moment, eine kleine Sache, eine kleine Sache nach der anderen.
Vielleicht häufen sich diese kleinen Sachen an, vielleicht auch nicht.
Aber eine kleine Sache ist besser als keine Sache,
Zwischen nichts und der allerkleinsten Sache
kann eine große Sache entstehen.
Zwischen nichts und noch einem nichts
kann keine Sache entstehen.
Lassen Sie mich in diesem Moment für irgendeine kleine Sache offen sein.

Achte Meditation

Hylas sagte:
Manchmal entsteht durch Ermüdung oder Entmutigung nichts Neues
Manchmal wirken viele alte Dinge durch Druck und Angst überwältigend
Lernen Sie zu warten, auf das Aufrühren oder das Absinken
Lernen Sie zu warten, bis sich der Tumult gelegt hat, bis die Stille spricht
Erinnern Sie sich an Zeiten, in denen Sie Zuflucht suchten, an Zeiten, in denen Sie sich wieder auf den Weg machten
Erinnern Sie sich an Zeiten des Trosts oder Zeiten der Bestimmtheit.
Sie sind an diesem Weg schon vorbeigekommen.
Sie haben auf dem Weg Markierungen hinterlassen – suchen Sie sie.
Gehen Sie dahin zurück, wo Sie waren, beginnen Sie von vorn.
Klagen Sie nicht um verlorene Zeit. Zeit ist immer da.
Die Zeit muss nicht vermessen werden.
Die Zeit muss weder verbracht noch verschwendet werden.
Zeit ist zum Leben da, und das ist genug.

Schau! Da ist die kleine Sache, auf die ich gewartet habe!

(translated by Tina Skulima)